Zur Saison

Eleos und Phobos

Als hätte das Theater genügend Gewicht und Nachdruck noch mitzureden! Als könnte ein künstlicher Vorgang auf den Bühnenbrettern die Welt noch aus den Angeln heben! Als würde das Ohr der Macht noch argwöhnisch auf den Trommelfellen der Bühnen liegen, den Stimmen der Autoren*innen und der Schauspieler*innen noch Einfluss zutrauend in der lärmendenden Massenkultur, in der späten, welkenden Volkswirtschaft, und der Post-post-kultur-kultur des krisengebeutelten Gemeinwesens! Als könnte ein Theater – ein Theater als solches – noch zum Innehalten rufen, zur Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, zum Vor- und Nachgedanken über eine völlig irrelaufende Welt! Als hätte Theater dies jemals gekonnt! (Gut, es gab Zeiten ...)

In dieser Täuschung, diesem Doppelspiel des „Doch(!) und Niemals(!)“ wiegen wir uns. Wir, die zumeist sich viel zu ernst nehmenden Theatermacher*innen.

Als könnte wir dem/der bewusst/unbewusst nihilistisch gestimmten Zuseher*in noch eine Angst oder ein Mitleid herauskitzeln, um die kathartische Reinigung seiner/ihrer Affekte zu befördern. Lachhaft. Enden-wollend. Wie alles. Eleos und Phobos – Mitleid und Angst. In diesen späten Zeiten werden diese längst von anderen bewirtschaftet: den organisierten Repräsentant*innen, den brüllenden Apparaten. Sie wissen längst: Wer Angst und Mitleid zu bedienen weiß, bestimmt die Richtung und Geschwindigkeit des zivilisatorischen Prozesses, versetzt die Massen in Ausnahmezustände, teilt, herrscht, be- und enthauptet. Die Angst und ihre kleine Schwester, die Panik, formen Hetz-Massen, schaffen allzu einfache Feindbilder, erleichtern Spaltung, ermöglichen Krieg. Muss man es noch einmal wiederholen? Die größte Gefahr für die derart Mächtigen ruht in der Möglichkeit, dass der Mensch furchtlos wird, angstfrei.

Als lebten wir in einer anderen Welt als der unseren! Diese Vorstellung, diese Phantasieleistung ist der Kern des Poetischen und von daher fließt uns Kraft und Ruhe zugleich. Dieser Quelle sich anzunähern, diese zu umspielen ist die Aufgabe des Theaters, zumal des kleinen Kammer-Theaters.

Ein Spielplan muss her, eine Kalkulation, ein Budget, eine Besetzung, Dispositionen, Konzepte. Zahlen werden nachgefragt. Planungen werden gedreht und gewendet und als plausibel oder auch als völlig verrückt erachtet. Aufgaben und Zutrauen werden verteilt, doch bleiben stets die ewigen Ungewissheiten ...  Und einer Planung – das weiß jeder Stratege – ist stets zu misstrauen. Und den Zahlen ...? Mein Gott! Die immer! Eines aber ist im Hinblick auf die Zahlen gewiss. Sie sollten besser werden! Denn in den letzten beiden Jahren gingen wir durch eine Kata-Strophe, eine fallende Handlung, um es dramaturgisch zu bezeichnen.

Durchatmen ... Also:

Neben vielen altbewährten und erfolgreichen auf den Nebenschienen der Musik- und Theaterkunst sind vier neue Vorgänge geplant: Der eine verdichtet sich um die Suche nach dem Sinn, der zweite um den Krieg und das Opfer, der dritte um die Angst und der vierte um den Ekel.

Viel Spaß! Es ist ja bloß Theater.

Gernot Plass
Künstlerische Leitung