Odyssee – Eine Heimkehr
Frei nach Homer
- Vorstellungsdauer
- ca. 85 Minuten, keine Pause
Uraufführung
Premiere: Mi. 13. Dez. 2023, 20.00
Die Odyssee wird immer als glorreiche Heldenreise erzählt. Aber was passiert, wenn der Held endlich – nach 20 Jahren und mit posttraumatischen Belastungsstörungen im Gepäck – nach Hause kommt? Was ist das denn noch für eine Heimat? Und wie geht es den Menschen, die all die Jahre auf Odysseus gewartet haben, mit dieser Rückkehr? Der Tänzer, Choreograph und Regisseur Joachim Schloemer und das TAG-Ensemble suchen spartenübergreifend nach Antworten.
Termine und Infos
Über Odyssee – Eine Heimkehr
Joachim Schloemer, Tänzer, freischaffender Choreograph und Regisseur für Tanz, Film, Oper und Schauspiel, nähert sich dem großen Mythos der Heimkehr des Odysseus in seiner ganz eigenen Herangehensweise und Ästhetik an. Wesentlich für Schloemers Arbeit ist es, aus dem Tanz bzw. dem bewussten Umgang mit Körperlichkeit heraus die verschiedensten Kunstsparten miteinander zu verknüpfen. In seiner Bühnenästhetik werden an diesem Abend eher Typen denn Charaktere auftauchen. Die fragmentierte und sprachlich leicht veränderte Fassung des 16. bis 24. Liedes der Odyssee bildet die textliche Grundlage des Abends. Die Fassung wird mit eingeschobenen Texten anderer Quellen verwoben und so neu interpretiert.
Ziel ist, das Thema Krieg aus der Perspektive der traumatisierten Heimkehrer in den Fokus zu stellen. Gibt es in der Mythologie das posttraumatische Stresssyndrom? Definitiv gibt dort die Rache der Göttinnnen und Götter. Vielleicht ist das ja ein und dasselbe?
Team
- Es spielen
- Text
- Regie
- Ausstattung
- Musik
- Dramaturgie
- Licht
- Regieassistenz
- Kostüm- und Requisitenbetreuung
- Tontechnik
- Bühnentechnik
- Katja Thürriegl
- Peter Hirsch
- Manuel Sandheim, Andreas Wiesbauer
Foto-Galerie
Kritiken
Über die Produktion
Das Metrum. Das Sein in der Zeit, d.h. in der Welt des Werdens und des Wandelns, fordert von den Existenzen, deren oberflächlichen Ausdruck wir als Personen und gesellschaftliche Masken darstellen, Maß und Regel. „Metron“ und „Nomos“, wie diese im Altgriechischen bezeichnet wurden. Die „metronomische“ Subjektivierung oder die Unterwerfung der Leiber unter die natur- und sittengesetzliche Bestimmung ist unser Schicksal. Da müssen wir durch. Schuldig und verurteilt durch Geburt.
Hier in dieser Welt gibt es die harten Sachen „im Raume sich stoßend“, aber freilich auch in der Zeit. Gegebenes Maß und Ziel und auch gegebene Regeln sind einzuhalten. Dies ist der alles durchdringende Lehrsatz der Antike. Einfach einzuhalten. Doch der moderne Mensch fragt sich sofort: Sind sie das? Und auch der tragische Held im mythischen Sinne empfindet diese stets als Zumutung und übersteigt handlungsauslösend gerne jene Grenzen. Der listige Held im Epos aber versucht, sie nicht zu durchbrechen, sondern auf sein Maß und sein Gesetz zurechtzubiegen.
Die Odyssee, die neben anderem als literarische Grundlage unserer westlichen Hoch- und Schriftkultur gilt, packt diese Tatsache in personam ihres Helden auf (so möchte man heute meinen) fragwürdige Weise an. Geschichtenperlen auf alter Schnur: Der raffinierte Schlaufuchs. Der in jede Grotte steigende, aber tief an Heimweh krankende antike Indiana Jones. Der listige „Niemand“, welcher Meeres-Ungeheuern, Nymphen und Kyklopen seine Regeln aufzwingt; Abenteuerfutter für viele Lese-Gefährt*innen.
Aber da ist auch die Heimkehr, jene in den hinteren Gesängen dramatische Zusammenführung aller Handlungsstränge, Ziel nicht nur des Helden, sondern auch der bis dahin mitgereisten Leser*innen. Il Ritorno: die Rückkehr in die vor Ewigkeiten verlassene heimatliche Gegend und Familienlandschaft – und um diese geht es hier.
Diese Heimkehr (oder besser Heimzahlung) ist getränkt mit rasender, roter Wut von Rache, Rausch und Wahnsinn. Gezeichnet von Blindheit, Erbarmungslosigkeit, von Mord und Verbrechen. Der Krieg in seiner Hemmungslosigkeit erhebt hier sein ekelhaftes Haupt erneut in der Gestalt des Rächers und wütet zuhause im heiligen Heim. Niemand wäre hier nach allen Regeln, auch des Krieges nicht, ein kombattanter Gegner. Nicht die Freier und schon gar nicht die Mägde. Hier werden entgegen aller sittlichen Gesetze Zivilist*innen abgeschlachtet. Werden Opfer einer durch Panik ausgelösten und in Blutrausch mündenden, völlig überzogenen Rache. Keine Gnade, auch nicht Bitten selbst des Sohnes und Verbündeten nach einer Waffenruhe werden erhört. Das Monster will die endgültige Lösung. Alles soll so wiederhergestellt sein, wie es früher auch nicht war. Und was, fragt man sich, soll dem Gemetzel folgen? Außer einer Einladung zur Assoziation mit Heutigem? Was? Was ist das Ergebnis solchen Tuns? Wie sollen solche Wunden heilen? Durch die erneute Vergewaltigung des Landes, der Menschen, der Generationenfolge, der Erinnerungen?
Joachim Schloemer ist feinsinniger Takt- und Regelgeber eines Vorgangs, der sich der Verweigerung des Wandels in der Zeit annimmt und diesen auf formal meisterliche Art und Weise thematisiert. Seine textliche und inszenatorische Versuchsanordnung zielt auf das Gefühl der Enge und der Unruhe, das einem nach langem Fortsein befällt im Angesicht der mit Vergangenheit und neuer Gegenwart getränkten, fremdbekannten Heimat. Es ist also im engen Sinne kein intellektuelles Vergnügen, sondern eher ein berauschendes, das durch Rhythmik, Zeitschlag und Takt eine Semi-Permeabilität im Empfinden der Zusehenden erzeugen möchte. Erleichtert wird dies freilich durch die großartige und unerbittliche Tiefensound-Atmosphäre von Tom Schneider und die Klarheit der Ausstattung von Anne-Sophie Raemy.
Man will an den Hautwiderstand, und darauf sollte man sich empfehlenswerterweise einlassen, um die rauschende und vorantanzende Spannung einzuholen, die der Abend und seine Choreographie vorgibt. Über tanzende Chöre der Antike wurde vieles bei weitem ausführlicher an anderer Stelle schon gesagt. Hier, liebe Zuseher*innen, finden Sie einen erneuten Versuch, dieser Form im modernen performativen Gewand gerecht zu werden. Mit dem gleichen Ziel einer, wenn auch kurzen, Einheit seelischer und körperlicher Schwingung durch die Mittel des Mitgefühls, des Schauers und der Resonanz. Zuhause ist dort, wo man noch nie gewesen ist. Wir erwarten Sie am andern Ende.
Gernot Plass
Künstlerischer Leiter des TAG